Die bayerische Kirche, die Kirche von Passau und der bayerische Volksaufstand 1705/06
Vortrag während der
Braunauer Zeitgeschichte-Tage 2005
„Braunauer Parlament“: Adel, Klerus, Bürger, Bauern 1705-2005
23.-25.09.2005
Dr. Herbert W. Wurster
1. Die Bedeutung der Kirche für den bayerischen Volksaufstand
Der bayerische Volksaufstand von 1705/06 ist wohl eine der größten europäischen Erhebungen des 17. und 18. Jahrhunderts, hat aber trotzdem in der Forschung recht wenig Beachtung gefunden[1]. Die meisten Untersuchungen dazu erwuchsen aus genealogischem, lokal- bzw. regionalhistorischem schon seltener aus landesgeschichtlichem Interesse. Die heutigen Standardwerke zum Thema stammen nicht von Landeshistorikern, sondern von Interessierten aus anderen Fachrichtungen. Demgemäß sind eine Reihe von Fragen offen, ist die Beurteilung schwankend[2].
Dieser Zwiespalt gilt auch für die Frage nach der Rolle der Kirche in dieser Volkserhebung. Richard van Dülmen, der bayerische Landeshistoriker, der diese Ereignisse unter dem Aspekt der Sozialgeschichte betrachtet hat, übergeht die Kirche und ihre Rolle im Aufstand beinahe ganz. Offensichtlich erübrigt sich für ihn mit der Feststellung, daß sich die Geistlichkeit gegenüber dem Aufstand fast ganz zurückhielt[3], jegliche weitere Analyse. Zurückhaltend urteilt auch Christian Probst: „Einige Geistliche sympathisierten mit den Aufständischen und unterstützten sie; so verhielten sich auch einzelne Franziskanerklöster. Im übrigen hielten sich sowohl der Adel als auch die Geistlichkeit zurück. Einzelne Prälatenklöster leisteten unter Zwang Unterstützung. Pfarrer von Miller war als Anführer eine Einzelerscheinung.“[4]. Dagegen hat Gustav Baumann, der die bisher ausführlichste Spezialdarstellung der Erhebung im Unterland vorlegte, in seiner Gesamtwürdigung des Aufstands und der Gründe für dessen Scheitern der Kirche eine sehr hohe Bedeutung zugemessen. Diese Bewertung hat er aber, sicherlich nicht zuletzt aufgrund des zeitgeschichtlichen Umfelds dieser 1936/37 publizierten Studie, in einer recht unfreundlichen Einschätzung kirchlichen Handelns vorgetragen: „Von größter Bedeutung für das Gelingen des Aufstands mußte die Führerfrage werden. Das öffentliche Leben des Landes stand ganz unter dem Einfluß des Adels, der Geistlichkeit und der Städte. Ihre Stellungnahme war daher von größter Wichtigkeit. ... Die Geistlichkeit hat in allen ihren Gliedern dem Aufstand bewußt entgegen gearbeitet. Die Bischöfe waren als Reichsfürsten Verbündete des Kaisers und erklärten sich schon aus diesem Grunde gegen die Bewegung. Die Auflehnung gegen die 'von Gott gewollte Obrigkeit' mußte aber auch vom kirchlichen Standpunkt aus verworfen werden und wurde infolgedessen auch mit kirchlichen Mitteln bekämpft. Der Bischof von Freising hat seinen Klerus angewiesen, 'ihres Orts alles dazu beizutragen, was zur Austilgung dieses Unwesens und höchst schädlichen Komplotts gedeihlich ist'. Die Geistlichkeit, welcher die mit der Aufstandsbewegung eng verbundene soziale Gärung ebenfalls nicht verborgen geblieben war, handelte genau nach den von den bischöflichen Oberhirten ergangenen Weisungen. Die Prälaten der ständischen Klöster hielten es, jahrhundertelangem Herkommen gemäß, mit dem Kaiser und verurteilten die treulose Politik des Kurfürsten aufs schärfste. 'Die Herrenklöster haben gegen Max Emanuel nichts als Übel gewünscht, haben über sein Unheil jubiliert und ihm noch Ärgeres vergönnt', schreibt im August 1707 ein unbekannter Briefschreiber. Die Prälaten vermieden daher vorsichtig alles, was irgendwie als Begünstigung der Aufständischen hätte gedeutet werden können. Die Leistungen der im Aufstandsgebiet gelegenen Stifte sind keineswegs freiwillig, sondern unter dem Druck der Bauern erfolgt. Im Gegensatz zur Weltgeistlichkeit und zu den ständischen Klöstern sind die mit dem Volk engverbundenen Franziskaner und Kapuziner mit ihrer Gesinnung auf der Seite der Bauern gestanden. 'Die Franziskanerklöster haben bisher vor anderen ihre üblen Neigungen verschiedentlich an den Tag gegeben', berichtet Graf Löwenstein am 2. August 1707 nach Wien. ... Der Kaiser hat die von Adel und Geistlichkeit bewiesene Treue auch gewürdigt und ihnen in einem Erlaß vom 23. Februar 1706 das größte Lob für ihr Verhalten während des Aufstands ausgesprochen.“[5].
Entsprechend der kritischen Beurteilungsansätze der Forschung nach 1968 hat Christoph Stölzl in seinem Aufsatz über den Aufstand im Katalog zur großen Ausstellung über Kurfürst Emanuel die Rolle der Kirche in ein negatives Licht gerückt, ihr sogar die ursächliche Schuld am Scheitern des Aufstands zugewiesen: „Vielleicht war das entscheidende Hindernis, das die soziale und geographische Ausdehnung der letztlich lokalen Rebellionen zu einem Aufstand des ganzen Volkes blockierte, die Haltung der Kirche. Sie besaß in einer nicht säkularisierten Gesellschaft das ideologische Monopol; nur in der von ihr hergestellten Öffentlichkeit hätte die wirkliche Legitimierung der Landesdefension jenseits der Halbheiten der Braunauer Politiker stattfinden können. Ausschlaggebend für die Einstellung der Kirche ist 1705 die reichsrechtliche Stellung der Bischöfe geworden, die als Reichsfürsten natürliche Verbündete des Kaisers sein mußten. Sie haben sich, von Administration und Landschaft aufgefordert, dem Aufstand energisch entgegengestellt. Der Freisinger Bischof Johann Franz Freiherr von Eckher ließ den Landesdefensoren die Strafe Gottes als Lohn für ihre Empörung androhen. Auch die Klöster sind von der Administration verschiedentlich zu Hilfsdiensten für die kaiserliche Propaganda bewogen worden, auch wenn, entsprechend dem sozialen Profil der einzelnen Orden, Nuancen in der Beurteilung des Aufstands zu ahnen sind. Nur zwei Kleriker sind überhaupt sichtbar als Figuren des Aufstands hervorgetreten: im Oberland der Augustinerchorherr Haspieder, der eine Fahne der Landesdefension weihte, und in der Oberpfalz der streitbare Pfarrer Florian Miller von Altammerthal, der mit seinen Anhängern die Stadt Cham besetzte. Beide waren Akteure, nicht Ideologen des Aufstands.
Der Mangel einer tragenden religiös-sittlichen Legitimierung ist auch deshalb schicksalhaft für die Landesdefension geworden, weil durch ihn der Zuzug fähiger und integrer Persönlichkeiten aus Bürgertum und Adel verhindert wurde.“[6].
Andreas Kraus, mittlerweile einer der Altmeister der bayerischen Geschichtswissenschaft, der der Religion und dem Glauben generell einen hohen Rang für den Ablauf der Geschichte zuweist, hat dagegen in seinem Handbuch-Artikel die Gründe für das Scheitern im pragmatischen, militärischen und politischen Bereich gesucht[7]. Sein Schüler Alois Schmid hat in seiner Darstellung der Bedeutung des Glaubens und der Kirche für die bayerische Geschichte den Überlegungen zu dem Thema Kirche und bayerischer Volksaufstand eine neue Wendung gegeben. Ohne die konkreten Vorgänge pressen zu wollen, verweist er auf die funktionalen, langfristigen Zusammenhänge: „Die kurbayerische Kirchenpolitik kennzeichnet ein sich im Verlaufe des 17. und dann vor allem ab der Mitte des 18. Jahrhunderts immer mehr verschärfender Druck des Landesherrn. Dieser drängte die Kirche notwendigerweise auf die Seite des Wiener Kaiserhofes, der allein Schutz vor den wachsenden landesherrlichen Pressionen bieten konnte. Vor allem die Reichskirche, aber auch die vielen bayerischen Klöster sahen im Kaiser ihren entscheidenden Schutzherrn, nicht in den Kurfürsten. Diese Haltung hatte durchaus politische Folgen. Daß sich der Aufstand der bayerischen Bauern 1705/06 gegen die österreichischen Besatzer nicht zum Flächenbrand ausweitete und deswegen scheiterte, ist vornehmlich darin begründet, daß sich die Kirche der Bewegung nicht anschloß, weil sie gegen ihren wichtigsten Schutzherrn gerichtet war; vor allem die Bischöfe bezogen gegen die Erhebung Stellung.“[8].
Die Haltung der Kirche 1705/6 wäre demnach ganz wesentlich von ihrer Einbindung in die Verfassung des Heiligen Römischen Reiches motiviert und geprägt von den kirchenpolitischen Erfahrungen mit der bayerischen Landesregierung.
2. Die bayerische Kirche und der Bauernaufstand
Bei diesem Punkt sollten wir nun ansetzen, um die Haltung der bayerischen Bischöfe, der Klöster und des Klerus besser zu verstehen. Zentren der Erhebung waren der Raum südlich von München ins Gebirge, die Oberpfalz und das Gebiet von der unteren Isar und Donau bis ins heutige oberösterreichische Innviertel. Damit erstreckte sich die Erhebung auf die Diözesansprengel der Diözesen Augsburg, Eichstädt, Regensburg, Freising, Passau und Salzburg. d. h. die gesamte Salzburger Kirchenprovinz und zwei Nachbarn, Augsburg und Eichstädt, waren betroffen. Für die meisten davon, nämlich für Augsburg, Eichstädt, Passau und Salzburg, hatte des wittelsbachische Kurfürstentum nicht die entscheidende Gewicht für die diözesane Politik; dies war die Folge der geographischen Lage dieser Bistümer am Rand das wittelsbachischen Territoriums bzw. der eher begrenzten Größe des kurbayerischen Diözesansprengelanteils. Außerdem hatten diese Bistümer mehr oder minder bedeutsame Hochstiftsterritorien, voran das mächtige Salzburg. Für die Fürstbischöfe dieser Hochstifte war der Kaiser also tatsächlich der Ansprechpartner, nicht nur aus den Gegebenheiten der Reichsverfassung heraus, sondern auch wegen der territorialpolitischen Bedingungen. Nur für die beiden anderen Bistümer, für Freising und Regensburg, war der Herr über Kurbayern der entscheidende politische Faktor, weil sich die beiden Sprengel weitestgehend über bayerisches Territorium erstreckten und weil die kleinen Hochstiftsterritorien dem bayerischen Zugriff unmittelbar ausgesetzt waren. Dies bedeutete aber in der Epoche der kaiserlichen Administration über Bayern, daß auch diese beiden Diözesen sich zuallererst auf den Kaiser besinnen mußten, und daß demgegenüber der Blick auf das kurfürstliche Geschlecht der Wittelsbacher, mit dessen Rückkehr auf den bayerischen Thron natürlich zu rechnen war, nicht unmittelbar ins Gewicht fiel. Dazu kam, daß der Fürstbischof von Regensburg ein Bruder des vertriebenen Kurfürsten Max Emanuel war, nämlich der wittelsbachische Kurfürst von Köln, Joseph Clemens, Herzog von Bayern, Bischof von Regensburg seit 1685. Aufgrund seiner Mitwirkung an der gescheiterten Politik seines Bruders war er in gleicher Bedrängnis wie dieser und fiel als politische Größe 1705/6 eher aus. Bistumsadministrator war Dr. Franz Peter Freiherr von Wämpl, Bruder des kurbayerischen Landschaftskanzlers[9]. Damit hatte des Bistum eine unmittelbare Verbindung zur bayerischen Obrigkeit. Das gleiche galt für das Fürstbistum Passau – einer der Vettern des Kardinals, Franz Sigmund Graf von Lamberg, war der Kriegskommissär der kaiserlichen Administration in München. Zusammenfassen läßt sich dies so, daß für jede Diözesanleitung Ende 1705 gegenüber den Aufständischen eine breite, ggf. unterschiedliche Palette von Sachverhalten zu berücksichtigen war.
Trotzdem gab es eine einheitliche Haltung der Bischöfe bzw. Diözesanleitungen: Überall wurde der Aufstand abgelehnt und der Klerus ermahnt, ihre Pfarrangehörigen vom Aufstand möglichst fern zu halten. Allerdings wurden die einschlägigen Generalien so spät hinausgegeben, nach der definitiven Niederlage der Bauern zu Aidenbach, daß ihnen keine praktische Wirkung zugeschrieben werden dürfte. Dies galt selbst für das territorial und herrschaftlich so kompakte Fürstbistum Freising. Die ebenso rasche Ausbreitung wie Niederschlagung des Aufstands (03.10.1705 bis Anfang Januar, also nicht mehr als etwa drei Monate), die disparaten Geschehnisse in dieser Zeit, ließen die Praxis der Diözesanverwaltungen schlichtweg hinter sich.
Der Pfarrklerus sah sich im Regelfall einem Aufstand gegenüber – die kaiserliche Administration war die rechtmäßige Obrigkeit, weil ja der Kurfürst als Reichsfeind vertrieben worden war; die schonungslose Behandlung Bayerns durch die Administration führte allerdings einige Geistliche in einen Zwiespalt, der sie zum Handeln veranlaßte wie den Oberpfälzer Pfarrer Miller oder zum Schutz von flüchtigen Aufständischen, was mehrere Klöster taten. Andererseits sahen sich einige Pfarrer von den Aufständischen oder von unruhigen, beutegierigen Geistern im Umkreis der Bewegung selbst bedroht, wurden aber oft zugleich aufgefordert, beim Aufstand mitzumachen. Dies war etwa der Fall beim Pfarrer von Weng im Rottal, der in seinem Pfarrhof überfallen wurde und die Aufforderung zum Mitmachen folgendermaßen abwehrte: „Ich bin ein Geistlicher, was fichten mich eure Händel an?“[10]. Das Aufgeben des Rechtswegs und der Rückgriff auf Gewalt war also für die Kirche ein Scheidepunkt.
Die Rolle der Orden wird vor allem von Ludwig Hüttl unterstrichen. Seines Erachtens unterstützten die Orden, vornehmlich die Bettelorden, die Aufständischen. „Sie nützten den Aufständischen durch ihre Verbindungen zu anderen Klöstern und Herrschaftszentren und stellten Geld, Ausrüstung und Verpflegung zur Verfügung.“[11]. Er führt dies aber nicht im Detail aus und stützt sich für seine Darlegung auf die leider in der Wiedergabe der Ereignisgeschichte des Bauernaufstands etwas verworrene „Kirchengeschichte Bayerns“ von P. Romuald Bauerreiß[12]; durch diese Unklarheiten sind die Zuordnung und Bewertung problematisch. Zu leicht werden so Geschehnisse nach dem Niederschlagen des Aufstands zu Indizien für (nicht erfolgte) Handlungen während des Aufstands. Unbestreitbar ist nur die Fahnenweihe der Miesbacher Landesdefension durch den Augustinerchorherr P. Haspieder von Stift Weyarn[13]. Der Anteil und die Haltung der Klöster im allgemeinen ist wohl richtiger umschrieben mit dem Zitat des Chronisten des Benediktiner-Klosters Vornbach am Inn: „In diesem Bauernaufstand erduldeten die Klöster Reichersberg, Suben und Vornbach viele Unannehmlichkeiten. Unter Androhung von Plünderung und Niederbrennung mußten sie sofort mehrere tausend Laib Brot, Branntwein, Kerzen usw. in deren Feldlager liefern.“[14]. Die mehrfach dokumentierte Unterstützung von flüchtigen Aufständischen durch Klöster erwuchs wahrscheinlich aus bayerisch-patriotischer Einstellung einerseits, vor allem aber wohl aus christlichem Mitempfinden. Wieder dürfte der Chronist des Klosters Vornbach in seinem Kommentar zum Gemetzel zu Aidenbach den Kern treffen: „Ich will den Bauernaufstand nicht billigen, aber ich vermag auch das unmenschliche Verfahren der Kaiserlichen nicht für recht zu halten, die alle Menschlichkeit und alles Erbarmen hintansetzend selbst die, welche das Schwert noch verschont und welche die Hoffnung auf Schonung des Lebens und auf Pardon herauszugehen ermutigt hatte, welche ihre Hände erhoben und nur um das nackte Leben baten, ohne Barmherzigkeit niedermachten.“ [15]. Hier wird ganz deutlich gesagt, „den Bauernaufstand will ich nicht billigen“, die politische Distanz schwindet aber angesichts des von den Bauern erlittenen Leids, das in diesem Ausmaß als Unrecht selbst gegenüber Aufständischen charakterisiert wird.
Die Kirche hat also den Aufstand abgelehnt, weil er eine Empörung gegen die rechtmäßige Obrigkeit war; die Frage nach den Erfolgschancen wurde bei der Bewertung wohl kaum gestellt, stellte sich eigentlich auch nicht, weil die Aufständischen ohne Anbindung an eine legitime Institution oder eine auswärtige Macht kaum eine Chance hatten. Freiwillige Unterstützung der Aufständischen oder gar Mitwirkung am Aufstand waren Ausnahmen.
3. Die Haltung der Aufständischen zu Glauben und Kirche
Damit sollten wir den nächsten Punkt aufgreifen, die Frage nach der Haltung der Aufständischen zu Glauben und Kirche. Auch hier ist eine erstaunliche Bandbreite von Befunden zu konstatieren.
Bezeichnend für die Hochschätzung der Religion und der katholischen Glaubenspraxis von seiten der Aufständischen - wie auch der kaiserlichen Truppen - ist die in der Literatur als Anekdote oft geschilderte Gefangennahme des Grafen Franz Anton von Lamberg, eines Neffen des Passauer Kardinals, durch Aufständische. Zu Altheim im Innviertel wurde – offenbar etwa Mitte November 1705 - die Kutsche dieses kaiserlichen Oberstleutnants angehalten. Die Kutsche wurde geplündert, die Barschaft von 700 fl. geraubt und Graf Lamberg eingesperrt und von den Aufständischen verhöhnt. Auf seinen endlichen Hinweis allerdings, daß er auf einer Wallfahrt nach Altötting unterwegs sei, wurde er freigelassen und ihm für die Weiterreise ein Passierschein gegenüber den Truppen der Landesdefension ausgestellt[16]. Beim Einmarsch der aufständischen Truppen in Altötting baten diese zum Fest Mariä Opferung um „ein figurirtes Hochamt“ in der Gnadenkapelle[17]. Ähnliches geschah während der Belagerung von Schärding, wo die Aufständischen am Sonntag aus dem benachbarten Kloster Vornbach am Inn einen Geistlichen holten, um ihnen eine Feldmesse zu lesen[18]. Und schließlich ist daran zu erinnern, daß die sich ergebenden Bauern der „Sendlinger Mordweihnacht“ 1705, die Waffen wegwarfen, niederknieten, den Rosenkranz aus der Tasche zogen und zu beten begannen und um Gnade zu flehen[19].
Andererseits finden sich auch extrem klerus- und klosterfeindliche Stellungnahmen von seiten Aufständischer. So heißt es etwa, daß es Ziel der Aufständischen war: „Die Kaiserlichen aus den Quartieren zu stauben, Adelige und Geistliche umzubringen und das Land wieder in souveränen Stand zu setzen“[20]. Und noch nach dem Gemetzel von Aidenbach fürchtete der Freiherr von Paumgarten, Teilnehmer am Braunauer Kongreß, „... die Bauern könnten 'in extremam rabiem verfallen und den Adel, die Klöster und andere Geistliche auf dem platten Land plündern und totschlagen' “[21].
Insgesamt also ein disparater Eindruck, der wohl auf verschiedene Strömungen innerhalb der Aufständischen hindeutet, wobei allerdings die große Mehrheit religiös gewesen sein dürfte, wie sich besonders am mehrfach belegten Wunsch großer Truppenkörper nach der Messe ablesen läßt. Auch das Bestreben des Braunauer Kongresses, die Welt-Geistlichkeit mit einzubeziehen, kann letztlich nur als positives Kennzeichen für die Haltung zur Kirche beurteilt werden[22].
4. Urteile über Kardinal Lamberg und sein Verhalten zum bayerischen Volksaufstand
Die Stellungnahmen der Aufstands-Literatur zu den bayerischen Bischöfen sind, wie eingangs gezeigt, meist distanziert, positiv hervorgehoben wird recht oft der Salzburger Erzbischof, recht negativ beurteilt wird dagegen der Bischof von Passau, Kardinal Johann Philipp Graf von Lamberg. Das hat Tradition, denn nicht nur in der Literatur, sondern schon in der zeitgenössischen Publizistik hat dieser Passauer Kirchenfürst recht herbe Zensuren einstecken müssen. In meinen mittlerweile jahrzehntelangen Studien zur Passauer Bistumsgeschichte war aber dieser Bischof mir immer wieder wegen seiner Leistungen und bemerkenswerten Aktivitäten aufgefallen. Daher habe ich mich in einem Aufsatz darum bemüht, diese verschiedenen Blickwinkel auf den Kardinal zusammenzubringen und zu einem begründeten Urteil zu gelangen. Ich darf die dort versuchte Würdigung zitieren: „Mit dieser Überschau über die Bereiche Herrschaft, Rechtsprechung, Diözesanverwaltung, Kirchenbau, Sorge um die Liturgie und um die Sakramentenpastoral wird klar, warum die Bedeutung dieses Kirchenfürsten für die Neuordnung des religiösen Lebens der Diözese in der Barockzeit wohl kaum überschätzt werden kann. ... An der Person und an dem Wirken des Johann Philipp Graf von Lamberg, Protector Germaniae, Kardinal, Fürstbischof und kaiserlicher Prinzipalkommissar war zu zeigen, ... [daß er] doch positiver gezeichnet werden sollte.“[23]. Speziell heißt es dort etwas vorher: „Bischof Johann Philipp [wird] auch im Bereich der Hochstiftsverwaltung und Rechtsprechung als konzilianter und moderater Fürst erkennbar.“[24]. Christian Probst dagegen geißelt den Kardinal wegen seiner „verständnislos harte(n) Haltung“ gegenüber den Anliegen der aufständischen Bauern[25] und stellt dies in Gegensatz zu dem Salzburger Erzbischof, der sich als Unterhändler für die Anliegen der aufständischen Bauern beim Kaiser anbot. Noch krasser ist die Beurteilung, jedenfalls m. E., bei Christoph Stölzl, der die Niederlage der Bauern darauf zurückführt, daß ihnen die Bereitschaft gefehlt habe, gefangene kaiserliche Soldaten zu massakrieren; die Ursache dafür sei wiederum in ihrem fehlenden Fanatismus zu suchen. Fanatismus entstünde erst durch religiöse Legitimation. Aber: „Der Schlüssel zu solcher 'Heiligung' der Kriegsziele lag bei der Kirche, sie verweigerte ihn. So hat Johann Philipp von Lamberg, der Bischof von Passau, ganz bezeichnend formuliert, er sei nicht gewillt, über die Rechtmäßigkeit der bäuerlichen Gravamina überhaupt ein Urteil zu fällen.“[26]. Eine eigentümliche Kausalkette – ein Kirchenfürst wird verurteilt, weil er kein Kriegstreiber war[27].
5. Kardinal Lamberg und der Bauernaufstand
Betrachten wir nun die Rolle des Kardinals in dieser dramatischen und tragischen Episode des Bauernaufstands. Hier ist zunächst festzuhalten, daß der Kardinal, Angehöriger eines der führenden Adelsgeschlechter des Habsburger Reiches, mit dem Kurfürsten von Bayern schon seit 1685 in gutem Kontakt stand[28] und daß Lamberg von vielen als Parteigänger des Kurfürsten betrachtet wurde wegen seiner Politik während der bayerischen Besetzung des Hochstifts 1704[29]. Dazu kam, daß Lamberg in Bayern in breiten Bevölkerungskreisen hochgeschätzt war[30]. Prinz Eugen von Savoyen, der mächtigste Fürst im Dienste der Habsburger, mißtraute dem Passauer Kardinal daher und vereitelte deshalb dessen von September 1704 bis Februar 1705 betriebenen Versuch, nach der kaiserlichen Besetzung Bayerns vom Kaiser die Statthalterschaft über das Land übertragen zu bekommen[31]. Prinz Eugen wollte nämlich Bayern ruinieren, während von einer Lambergischen Statthalterschaft keinesfalls eine rein österreichische Machtpolitik mit dem Ziel der „vollkommene(n) wirtschaftliche(n) und militärische(n) Ausbeutung, oder auch eine(r) Arrondierung Bayerns“ (zugunsten Österreichs) zu erwarten gewesen wäre[32]. Wohl um das Haus Lamberg zu besänftigen, wurde – wie bereits erwähnt - wenigstens einer der Vettern des Kardinals, Franz Sigmund Graf von Lamberg, Kriegskommissär der kaiserlichen Administration in München; dieser verfolgte dann auch tatsächlich gegen den Widerstand der kaiserlichen Militärs die Politik, die Ausschreitungen der Soldateska einzugrenzen und zu bestrafen[33]. Da nach dem Aufstand die kaiserliche Administration auf eine gemäßigte Linie der Besatzungs- und Ausbeutungspolitik einschwenkte, und Bayern in den folgenden Jahren ruhig blieb, darf man wohl behaupten, daß unter einem Statthalter Lamberg kein Aufstand heraufbeschworen worden wäre.
An der Haltung des Kardinals können wir sicherlich einen tiefen Lernprozeß des Fürstbistums Passau ablesen. Das Hochstift hatte unter Kardinal Lamberg durch Aufkauf adeliger Güter und Rechte den Aufbau einer hochmodernen geschlossenen Landesherrschaft abgeschlossen[34]. Im Gegenzug zu dieser Ausbildung einer absolutistischen Landesregierung hatten allerdings die untertänigen Bauern und Bürgern durch Beharren auf dem überlieferten Recht, durch Klagen gegen den Fürstbischof vor den Reichsgerichten, durch Widerstand und selbst durch Aufstand seit dem späten 16. Jahrhundert eine Tradition des beständigen Eintretens für ihre Rechte als Untertanen entwickelt. Dies unterscheidet das Hochstift Passau von vielen anderen Territorien der Reichskirche. Verbunden mit der Bereitschaft der Fürstbischöfe, die Urteile des Reichskammergerichts zu respektieren und mit ihren Untertanen in Frieden zu leben, erwuchs daraus die vormoderne Lebenswelt, die mit dem bekannten Spruch 'Unter dem Krummstab ist gut leben' zu charakterisieren ist. Dies beinhaltete aber auch den Respekt vor der Belastungsgrenze der Untertanen[35]. Diese Einsichten waren keinesfalls abstrakt, sondern im Hochstift gerade erst wieder im großen Steuerstreik von 1679 bis 1684, also in der höchsten Not der Türkenkriege, als 1683 Wien zum zweiten Mal von den Türken belagert wurde, mühsam erfochten und im Untergriesbacher Zinsstreik von 1697 durch das unmittelbare und rasche Eingreifen des Fürstbischofs Johann Philipp bestätigt worden[36].
Das Fürstbistum Passau hatte also 1705 eine lebendige Tradition des Umgangs mit Unruhen und Aufständen der eigenen Untertanen, vor allem der Bauern. Dies galt für die anderen vom bayerischen Volksaufstand betroffenen Territorien und ihre Fürsten nicht. In Siebenbürgen tobte zwar gleichzeitig der Rakoczy-Aufstand, die Verhältnisse waren aber doch anders gelagert. Der letzte Aufstand der Bauern in Österreich war 1626 gewesen, mit unbedeutenden Folgeaufständen in Oberösterreich 1632 und 1635/36[37]. In Bayern war die letzte Erhebung die der oberbayerischen Bauern 1633/34 gewesen[38]. Im Erzstift Salzburg hatte es 1645 eine unbedeutende Bauernrevolte gegeben, und davor einen Bergarbeiteraufstand 1601/02 im Salzkammergut[39]. Für die anderen Hochstifte ist von derartigen Bewegungen ganz zu schweigen[40].
Wenden wir uns nun der Ereignisgeschichte des Aufstandes[41] zu bzw. den Reaktionen der Kirche von Passau auf die Geschehnisse. Der Aufstand begann mit einer Einzelaktion am 03.10.1705 zu Neunburg vorm Wald in der Oberpfalz, wurde ab Mitte Oktober allgemeiner und erfaßte in der Folge zunehmend das unmittelbare Passauer Diözesangebiet, vor allem das Rott- und untere Inntal. So findet sich im Protokoll des Passauer Geistlichen Rates, also der Spitze der geistlichen Diözesanverwaltung, in der Sitzung vom 12.11.1705 die beiden ersten einschlägigen Einträge: Der Fürstbischof teilt die am 10.11. vorgenommene Ernennung des „Landt Miliz Oberhauptmann“ Martin Pemel mit und der Pfarrer von Karpfham im Rottal berichtet als erster Pfarrer der Diözese vom Eindringen der „Bayrischen rebellischen Bauernpueben Pursch in seinen Pfarrhof“, die ihm seine Waffen geraubt hätten[42]. Der erstere Eintrag deutet auf die Aktivierung der Landfahnen des Hochstifts, also der von den Bauern, nicht von ausgebildeten Söldnern getragenen Heimat- und Landwehr des Territoriums. Aktive Soldaten gab es im Hochstift nur auf der Veste Ober- und Niederhaus, der Landeszentralfestung auf dem Berg oberhalb Passaus bzw. auf dem Felssporn zwischen Ilz und Donau[43]. Allerdings gelang es mit dieser ersten Maßnahme noch nicht, die Einnahme der zum Hochstift Passau gehörigen Exklave des Marktes Obernberg am Inn zu verhindern. Die aufständischen Innviertler Bauern unter Johann Georg Meindl[44] nahmen um den 10. November 1704 Obernberg ein und hielten es bis 13. November besetzt, der fliehende Pfleger wurde mißhandelt und ausgeplündert. Meindl hatte das nicht zu Bayern gehörige Obernberg deswegen eingenommen, weil er erwartet hatte, dort Gewehre und Geschütze zur Ausrüstung für seine Landschützen zu erbeuten. Aufgrund des Angriffs der bayerischen Aufständischen auf sein Fürstentum, auch die Rottaler Bauern und Georg Sebastian Plinganser waren zugezogen[45], befahl der Bischof „Vorsichtsmaßregeln“, nämlich die Landfahnen des Hochstifts einzuberufen und zu exerzieren, um die Grenzen gegen die Aufständischen zu sichern und ihr Vordringen auf das Hochstiftsterritorium zu verhindern[46]. Als dann ab 14. November zahlreiche Aufständische auch rund um Vilshofen an der Donau sich bemerkbar machten, bat der Fürstbischof um Abwehr dieses „Bauerngesindels“ und um kaiserliche Truppen zur Verstärkung der Besatzung auf dem Oberhaus[47]. Außerdem maßregelte er jene bayerischstämmigen Beamten des Hochstifts, die mit den Aufständischen sympathisierten[48].
Vor allem aber brachte Lamberg, der Prinzipalkommissar des Reichstags, den Aufstand vor den Reichstag. Schon am 29.11.1705 erfolgte der durch das Agieren des Kardinals herbeigeführte Reichstags-Beschluß, durch den die Aufständischen zu Reichsfeinden erklärt und die Reichsexekution über sie verhängt wurde. Diese sollte nach dem Willen Lambergs in enger Kooperation zwischen Reichsexekutionstruppen und kaiserlicher Administration erfolgen[49]. Am 07.12.1705 beauftragte dann der Reichstag, dessen Mitglieder durchaus auch skeptisch waren angesichts der österreichischen Besatzungspolitik[50], Lamberg, in Verhandlungen mit den bayerischen Landständen einzutreten, um auch auf diesem Weg die Wiederherstellung des Friedens und der Botmäßigkeit in Bayern zu erreichen[51].
Mittlerweile war ja mit der Eroberung von Braunau, Burghausen und Schärding die Landesdefension zu beträchtlichem Ausmaß herangewachsen und gewann ständig neuen Zuzug durch Bauern wie auch durch Bürger. Schon in seiner Sitzung vom 26.11.1705 hatte der Geistliche Rat in Passau die Verhältnisse so beschrieben: Beim „dermaligen Bayrischen Bauern Auffstandt und Empörung des gemainen Volkhs, sonderlich in allhiesigem Dioecesan-District“ sind „auß denen in Bayrn entlegenen neun Decanaten die mehriste, als Schärding, Braunau, Maurkirchen, Guethen, oder Riedt, dann Aigen, Pfarrkürchen, Aufhausen, und Kürchdorff, mitten in disem Tumult begriffen, unnd von der rebellirenten Paurnbuesch allrseitts umbgeben unnd eingeschlossen“[52].
Angesichts der gegebenen Machtverhältnisse, bei denen „Gwald fir Recht gehet“[53], pflegte das Hochstift gegenüber den von den Aufständischen besetzten Gebieten, besonders gegen das am 04.12.1705 eroberte Schärding, eine nachbarliche Haltung, ließ den Handel dorthin aufrecht erhalten und und setzte im übrigen auf eine dilatorische Politik gegenüber den Bauern, woran auch die Klagen der kaiserlichen Administration über die Passauer Regierung nichts änderten[54]. Zeitgewinn gegenüber den Aufständischen sah er als den am wenigsten kriegerischen Weg, sein Ziel, die möglichste Schonung von Stadt und Diözese Passau in diesen unruhigen Zeiten[55], zu erreichen. Seine Ablehnung des Aufstandes änderte sich auch nicht, nachdem das Braunauer Parlament einberufen worden war (18.12.)[56]; daher lehnte er auch eine öffentliche Fürsprache für die Aufständischen beim Kaiser ab – diese Aufgabe hatte allerdings schon der Salzburger Erzbischof übernommen[57].
Angesichts der Eskalation der politisch-geistigen Auseinandersetzung durch die Einberufung des Braunauer Kongresses, zu dem auch der Weltklerus geboten worden war, aber nicht erschien[58], ließ der kaiserliche Administrator Graf Löwenstein durch die Landschaftsverordnung „die Bischöfe von Freising, Regensburg, Salzburg und Passau um ihre Einwirkung auf ihre Diözesanen bitten. Die Seelsorger sollten den Pfarrkindern zusprechen, 'sich des Aufruhrs zu enthalten und sich der kaiserlichen Gnade bequemen'. Die Bischöfe [auch der von Eichstätt] haben auch alle ihren Landklerus beauftragt, das Volk von den offenen Kanzeln und im Beichtstuhl 'von solchen Tätlichkeiten abzumahnen und zu friedsamen Gedanken zu bringen'.“[59]. Gegen diese gängige Darstellung ist allerdings einzuwenden[60], daß diese Abmahnungen zumindest im Bistum Passau erst im Januar nach der Schlacht von Aidenbach an die Pfarreien zur Verteilung kamen; die Mahnungen haben also allenfalls nach der Niederlage vor weiteren Aktionen zurückhalten können[61]. Größere große Wirkung gegen die Aufstandsbegeisterung hatte dagegen die gedruckte „Erinnerung“ der Landschaftsverordnung vom 02.01.1706[62], deren Wirkung natürlich durch die Niederlagen der Aufständischen einen sachlichen Grund hatte. Dagegen hatte die mit viel Aufwand ausgearbeitete Denk- und Beschwerdeschrift der Bauern, die dem Reichstag vorgelegt werden sollte, um ihr Tun zu rechtfertigen und sicherlich um auch Unterstützung zu gewinnen, nicht einmal Regensburg erreicht, sondern war in Passau von der Hochstiftsregierung zurückgehalten worden[63].
So beschloß das Braunauer Parlament schließlich, den Frieden zu suchen; Vermittler sollte erneut der Erzbischof von Salzburg sein, der beim Kaiser Generalamnestie für die Aufständischen erbat, die am 27.01.1706 ausgesprochen wurde, nachdem der kaiserliche Oberbefehlshaber General Kriechbaum dies bereits am 19.01. öffentlich versprochen hatte[64]. Daraufhin endete – wie bekannt – der Aufstand und so konnte auch der Geistliche Rat in Passau auf die Anfrage eines Pfarrers über die Befolgung des Rüstungs-Patentes der Aufständischen lakonisch festhalten: „Mit glikhlich under die Kayserliche Bottmessigkeit und Protection widergebrachte Statt- und Rentambt Burghausen erlediget“.[65].
6. Zusammenfassung
Kommen wir mit dem Ende der Ereignisgeschichte zu einer Zusammenfassung. Die Rolle der Kirche im „Bayerischen Volksaufstand“ wird in der Literatur teilweise sehr hoch eingeschätzt, sowohl im unmittelbaren Handlungssinne als auch im Feld der mentalen Auseinandersetzung. Dies ist m. E. unzutreffend, denn die Kirche, Bischöfe, Prälaten, Ordensleute und Weltgeistliche, haben sich weitestgehend zurückgehalten bzw. ist ihre oberhirtliche und pastorale Abmahnung so spät anzusetzen, daß es keine größere Wirkung entfaltet haben dürfte. Der Passauer Fürstbischof Johann Philipp Graf von Lamberg, als Prinzipalkommissar der Reichsverfassung besonders verpflichtet, in dessen bayerischen Diözesanteil „die Rebellanten ... ihren Haubt Sedem und stetten Dummelplaz continuirlich gehabt“[66], hat den Aufstand abgelehnt und ihm entgegen gearbeitet. Gegenüber der Grausamkeit des kaiserlichen Militärs hat er allerdings eine mildere Linie verfolgt. Die vielfachen Erfahrungen des Hochstifts Passau mit Bauernunruhen dürften dabei handlungsanleitend gewesen sein. Kardinal Lamberg hat dabei zuallererst die Rechtsfrage in den Blick genommen und damit die kaiserliche wie fürstliche Stellung aufrecht erhalten; der Aufstand galt ihm zweifelsfrei als Unrecht. Demgemäß strebte er durchaus danach, die eigene Position durch Einsatz von Militär gegen die Rebellen zu halten; allerdings scheint er gehofft zu haben, die blutige Gewalt der kaiserlichen Truppen durch enge Anbindung an die Reichstruppen zu bändigen, was nicht gelungen ist. Immerhin suchte er als Fürst wie als Bischof nicht die Konfrontation, sondern verfolgte eine Politik des situationsangepaßten Lavierens. Dies prägte sich auch in der Diözesanführung aus, wie eine Verhaltensanweisung des Geistlichen Rats an die von „so miserablen Kriegsläuffen, Pressurn und Gefahren“ bedrängte Geistlichkeit zeigt: „Weillen ... Gwald fir Recht gehet, alß müesse man alles göttlicher Providenz und eines ieden bester Prudenz und Circumspection anbefelchen.“[67]. Pragmatismus kennzeichnet also die Politik Kardinal Lambergs. Den verfechtern einer harten linie war er deshalb verdächtig, aber es war der kaiserliche Hof, der zu lernen hatte, daß die grenzenlose Ausbeutung eines besetzten Landes nicht unbedingt die eigene Stärke vergrößert, sondern ins Gegenteil umschlagen kann. Der Kardinal dagegen hatte schon vor dem Aufstand die unmäßige Behandlung des bayerischen Volkes verurteilt und für eine erträgliche österreichische Besatzungspolitik optiert – daher brauchte Kardinal Lamberg auch nach dem Aufstand seine politischen Maximen nicht zu ändern und konnte das Bistum Passau in die Blütezeit des Barock hineinführen.
Ungedruckte Quellen
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Literaturverzeichnis
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[1]Van Dülmen: Protest 334, bei Anm. 8.
[2]Eine Abwägung bei Spindler / Kraus: Handbuch II, 506, in Anm. 21.
[3]Van Dülmen: Protest 348, bei Anm. 59.
[4]Probst: Lieber 427.
[5]Baumann: Bauernaufstand Bd. 70, p. 68f.
[6]Stölzl: Aufstand 348.
[7]Spindler / Kraus: Handbuch II, 508.
[8]Brandmüller: Handbuch II, 301, vor Anm. 30.
[9]Euler: Wämpl.
[10]Baumann: Bauernaufstand Bd. 69, 32.
[11]Hüttl: Max Emanuel 448.
[12]Hüttl: Max Emanuel 665, Anm. 1229. Der Bauernaufstand bei Bauerreiß: Kirchengeschichte VII, 361-366.
[13]Bauerreiß: Kirchengeschichte VII, 365f.
[14]Heuwieser: Bauernaufstand 218.
[15]Heuwieser: Bauernaufstand 220.
[16]Probst: Lieber 166 lokalisiert fälschlich ins niederbayerische Vilshofen; s. dagegen Schwäbl: Plinganser 203, Anm. 3; Meindl: Schützenobrist 404f.; Baumann: Bauernaufstand Bd. 69, 30.
[17]Schäffler: Landeserhebung 345; König: Weihegaben II, 389, bei Anm. 189.
[18]Heuwieser: Bauernaufstand 218.
[19]Hüttl: Max Emanuel 456.
[20]Baumann: Bauernaufstand Bd. 69, 31.
[21]Stölzl: Aufstand 346, bei Anm. 46.
[22]Hier bleibt allerdings die Frage offen, wieso nicht versucht wurde, die Klöster einzubinden.
[23]Wurster: Lamberg 113.
[24]Wurster: Lamberg 112.
[25]Probst: Lieber 229.
[26]Stölzl: Aufstand 348.
[27]Hierbei sei gar nicht weiter darauf eingegangen, ob die zitierte Stellungnahme des Kardinals denn überhaupt hinreichend ist für den von Stölzl entwickelten Gedankengang.
[28]Wurster: Lamberg 103-105.
[29]Wurster: Lamberg 108.
[30]Niedermayer: Lamberg 151f.
[31]Niedermayer: Lamberg 150f.; 212, in Anm. 463.
[32]Niedermayer: Lamberg 151.
[33]Probst: Lieber 124.
[34]Wurster: Lamberg 107.
[35]Wurster: Bistum III, 43; Wurster: Unruhen.
[36]Wurster: Unruhen 177-179.
[37]Bruckmüller: Sozialgeschichte 126. Für Oberösterreich s. Grüll: Bauer.
[38]Spindler / Kraus / Schmid: Handbuch II, 450, bei Anm. 7 zum oberbayerischen Bauernaufstand 1633/34; Schlögl: Bauern 61f.; 65; 286 zum Bauernaufstand 1633/34; 284; 287 zu den Ereignissen von 1705/06.
[39]Dopsch / Spatzenegger: Salzburg gibt in Bd. II, 1, 345 einen Überblick über das bäuerliche politische Verhalten, Bd. II, 1, 145 behandelt den Bergarbeiteraufstand im Salzkammergut 1601/02, Bd. II, 1, 180, bei Anm. 68 eine vermeintliche Bauern-Rebellion im Pinzgau 1606 und Bd. II, 1, 213; 345, bei Anm. 211 die Bauernrevolte 1645.
[40]S. allgemein Gatz: Bistümer 66 (Augsburg), 197f. (Eichstätt), 607f. (Regensburg), wenngleich zu befürchten steht, daß diesen Bewegungen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.
[41]Grundlegend Spindler / Kraus / Schmid: Handbuch II, 505-508.
[42]ABP, OA, B 5, GRP 1705, Sitzung vom 12.11., f. 2v bzw. f. 4v.
[43]Loibl / Feldmeier: Oberhaus.
[44]Zu Meindl s. Große Bayerische Biographische Enzyklopädie II, 1291.
[45]Zu Plinganser s. Große Bayerische Biographische Enzyklopädie III, 1510. Sein in der Literatur bisher unbekannter Geburtsort ist die Pfarrei Postmünster, wo der Vater Hofmarksrichter zu Thurnstein war; die Taufe Georg Sebastian Plingansers erfolgte am 21.04.1681 (ABP, Pfbb. Postmünster 3.3.3.), die Geburt war also wohl am gleichen Tag oder evtl. einen Tag vorher.
[46]Probst: Lieber 169-171; 174; Niedermayer: Lamberg 152.
[47]Niedermayer: Lamberg 153.
[48]Niedermayer: Lamberg 152.
[49]Probst: Lieber 223f.
[50]Niedermayer: Lamberg 155.
[51]Probst: Lieber 225.
[52]ABP, OA, B 5, GRP 1705, Sitzung vom 26.11., f. 1v.
[53]ABP, OA, B 5, GRP 1705, Sitzung vom 17.12., f. 5r.
[54]Niedermayer: Lamberg 153f.; s. a. Probst: Lieber 220f.
[55]Niedermayer: Lamberg 155.
[56]Niedermayer: Lamberg 156; Probst: Lieber 297.
[57]Zur ersten Vermittlungsaktion am 01.12.1705 s. Baumann: Bauernaufstand Bd. 69, 64; 73f.; Niedermayer: Lamberg156 (der demgegenüber auf nichtöffentliche Aktivitäten des Kardinals verweist); Probst: Lieber 229.
[58]Zur Nichtteilnahme des Klerus s. Baumann: Bauernaufstand Bd. 70, 23.
[59]Baumann: Bauernaufstand Bd. 70, 31 (Zitat); Niedermayer: Lamberg 155; der Hinweis auf Eichstätt bei Probst: Lieber 284.
[60]Probst: Lieber 375 schreibt die Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung ab 28.12.1705 den Abmahnungen durch den Klerus zu.
[61]Nach Hubensteiner: Eckher von Kapfing 75 wurde auch die Kanzelabmahnung für das Bistum Freising erst am 23.12.1705 erlassen. Für Passau: ABP, OA, B 5, GRP 1706, Sitzung vom 11.01., f. 1r: Offizial Graf Kuefstein berichtet, daß das Spezialmandat des Bischofs „an das in Bayrn entpörte Landtvolkh von offentlichen Canzlen zu thuen gnädigist anbevolchene Dehortatorium zue Gewünnung der Zeit“ nunmehr gedruckt sei und an alle Dekane im bayerischen Anteil versandt werde.
[62]Baumann: Bauernaufstand Bd. 70, 32f.
[63]Probst: Lieber 374; Baumann: Bauernaufstand Bd. 70, 56.
[64]Probst: Lieber 380: 391; 402; Baumann: Bauernaufstand Bd. 70, 48; 51. Meindl: Schützenobrist 437 datiert den Generalpardon durch General Kriechbaum auf 13.01.1706.
[65]ABP, OA, B 5, GRP 1706, Sitzung vom 21.01., f. 5v.
[66]ABP, OA, B 5, GRP 1706, Sitzung vom 31.01, f. 2r.
[67]ABP, OA, B 5, GRP 1705, Sitzung vom 17.12, f. 4v.